Zunehmend Verhaltensauffälligkeiten und Verweigerung in den Schulzimmern: Wie antworten moderne Schulen darauf?

Von Veröffentlicht am: 18. Oktober 2023Kategorien: Erziehung, Familie, Schulentwicklung

Das ganze Leben ist ein Projekt

Schulunterricht steht in Konkurrenz zu den Action-Games zu Hause.
Wie gelingt es heutigen, modernen Schulen, den Weg von Langeweile und Verhaltensauffälligkeiten zu  selbstwirksamen Lernerfahrungen zu finden?

Selbstwirksamkeit ist ein entscheidender Faktor für den Lernerfolg von Schülern und später für den beruflichen Erfolg. Sie beschreibt das Vertrauen eines Individuums in seine Fähigkeit, bestimmte Aufgaben erfolgreich zu bewältigen und Ziele zu erreichen. Wie können Schülerinnen und Schüler in der heutigen Zeit Selbstwirksamkeit sowohl in der Schule als auch im Elternhaus erfahren? Was unterscheidet die heutige Erziehung in Schulen und Familien von früher?

Sowohl Lehrpersonen als auch Eltern von heute haben in der Regel das Ziel, dass es ihren Kindern gut geht. Sie gehen auf sie ein, hören ihnen zu und nehmen ihre Wünsche ernst. Es ist jedoch eine Gratwanderung, gleichzeitig zu fragen: ‚Was möchtest du?‘ ‚Was interessiert dich?‘ und die Zügel nicht ganz aus der Hand zu geben. Der Rahmen muss klar definiert sein, innerhalb dessen die Kinder und Jugendlichen mitreden und wählen dürfen. Ideal ist es, wenn sich dieser Rahmen mit zunehmendem Alter erweitert. Je mehr Spielraum, desto mehr Selbstverantwortung sollten Aufträge bieten.

Im Zeitalter des Internets hat das Auswendiglernen von vorgegebenem Wissen ausgedient:
Die heutigen Lerninhalte müssen bei den Schüler*innen Interesse wecken und sie ihre Heldengefühle spüren lassen.

Engagierten Eltern und kompetenten Lehrpersonen gelingt es, individuell auf die verschiedenen Bedürfnisse der Kinder einzugehen und gleichzeitig etwas von ihnen zu verlangen. Lernen geschieht nach heutigen Erkenntnissen in einem aktiven Prozess. Damit die Inhalte langfristig haften bleiben, bedarf es einer emotionalen Betroffenheit. Das bedeutet, dass das Gelernte in Bezug zur Welt des Kindes oder Jugendlichen stehen sollte und ein eigenes Interesse daran vorhanden sein sollte.

Wenn ich auf meine Schulzeit zurückblicke, fand ich es oft auch langweilig. Bestimmt war ich nicht die Einzige, die sich so durch die Schule bewegte. Dennoch war meine Schulzeit insgesamt erfolgreich. Warum zeigen heute immer mehr Schülerinnen und Schüler vermehrt auffälliges Verhalten, wenn ihnen langweilig ist? Schon von Erstklässlern höre ich im Schulzimmer: ‚Das ist langweilig! Ich möchte lieber nach Hause und dort gamen.‘
Was macht diese Freizeitbeschäftigung vor den Bildschirmen für immer jüngere Kinder so attraktiv? Im virtuellen Spiel dominieren sie andere in der Rolle des Helden. Mit viel Übung ist der Fortschritt klar ersichtlich: ‚Ich gewinne! Ich fühle mich selbst wirksam. Ich kann es immer besser. Ich bin erfolgreich. Ich fühle mich stark und fähig.‘
Wünschen wir nicht alle, uns in einem Gebiet als Held oder Heldin zu fühlen? Wir möchten von anderen gesehen werden, unsere Fähigkeiten zeigen und uns stark fühlen.

Das Heldengefühl, etwas im eigenen Leben zu bewirken, ist wertvoll. Es lässt sich auch einsetzen, wenn es darum geht, sich an Regeln zu halten, eigene Bedürfnisse zu erkennen, sich in Gruppen einzubringen und Lerninhalte zu erarbeiten.

Im Gegensatz dazu muss sich das Erlernen von Buchstaben, Wörtern und Zahlen für viele Kinder sehr anstrengend und unattraktiv anfühlen. Schon in der ersten Klasse fehlt vielen die Motivation, sich auf den vorgegebenen Schulstoff einzulassen. Zum Beispiel kann ein Bild mit einem Igel, der sich durch einen Haufen Herbstblätter bewegt, nicht annähernd so faszinieren wie das virtuelle Heldenabenteuer, bei dem sie ganze Truppen zu Fall bringen. Sie leben nach dem Lustprinzip und sind daran gewöhnt, dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Es ist vorstellbar, wie einschränkend sich für sie ein vorgegebener Auftrag in der Schule anfühlen muss.

Wie begegnen wir als Erwachsene diesen Kindern? Wie gelingt es uns, dass sie dennoch interessiert sind, mitmachen, lernen und sich dabei selbst wirksam fühlen? Wie lernen sie, sich an Abmachungen zu halten, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen, auch einmal aufzuschieben und sich in der Gruppe als wertvoll und zugehörig zu fühlen?

Offensichtlich funktioniert es immer schlechter, fixe Vorgaben zu machen und zu erwarten, dass eine ganze Klasse dieselben Aufgaben zur gleichen Zeit löst. Zumal es immer mehr Kinder gibt, die sich nicht angesprochen fühlen und es langweilig finden. Langeweile empfinden wir in der Regel, wenn wir keinen aktiven Part im Geschehen haben. Diese Situation lässt sich im Schulzimmer und auch zu Hause schnell durch rebellisches Verhalten ändern. Sofort dreht sich alles um diese Kinder. Ob sie im Kreis laut sind, sich auf den Boden werfen oder sich verweigern, die Aufmerksamkeit ist ihnen garantiert! Die Langeweile ist dadurch vorerst vorbei.

Natürlich wird es für sie, die Lehrpersonen und ihre Familien mit diesem Verhalten zunehmend herausfordernd. Vermehrt steht die Disziplin im Zentrum auf Kosten der Lerninhalte.

Moderne Schulen nutzen Individualismus und Lustprinzip und setzen auf neue Lernformen:
Projektarbeit holt die Schüler*inne bei ihren Interessen ab und lässt sie motiviert Ziele erreichen.

Immer mehr Schulen haben erkannt, dass die Antwort auf auffälliges, störendes Verhalten in neuen Unterrichtsformen liegt: Sie lassen die Schülerinnen und Schüler in einem festgelegten Rahmen wählen, womit sie sich beschäftigen wollen. Das Experimentieren kann auch in der Natur oder außerhalb des Schulzimmers im Dorf stattfinden. Wichtig ist, dass die Schülerinnen und Schüler sich als Hauptpersonen ihrer Lernerfahrung erleben. Gleichzeitig verlangt die Arbeit von ihnen, einen klaren Ablauf, einen vorgegebenen Zeitrahmen einzuhalten und ein Ziel zu erreichen.

An Grenzen wachsen, kreative Lösungswege finden, eigenen Kompetenzen erweitern und präsentieren, statt Wissen auswendig zu lernen, wiederzugeben und gleich nach der Prüfung wieder zu vergessen.

Eigene Projekt-Arbeiten ermöglichen echte Lernerfahrungen: Die Schülerinnen und Schüler sind vom Anfang bis zum Ende aktiv in den eigenen Prozess eingebunden. Dieser besteht aus vielen Teilschritten, welche von der Lehrperson in der Rolle des Lerncoaches begleitet werden:

  • ein bestimmtes Interessenthema auswählen
  • ein Ziel bestimmen
  • sich eine Fragestellung überlegen, die Antworten erfordert
  • einen Zeitplan erstellen
  • ein Vorgehen bestimmen
  • die Durchführung laufend evaluieren und anpassen
  • die neuen Kompetenzen präsentieren
  • Feedback entgegennehmen
  • ein Fazit erstellen
  • Erfahrungen in die nächste Projektarbeit einfließen lassen

Auch in Projekt-Arbeiten stossen Schüler*innen an Grenzen, machen Fehler und wissen nicht weiter. Die Frustrationstoleranz wird dabei erweitert. Es erfordert Kreativität und Durchhaltewillen, um immer wieder neue Lösungsmöglichkeiten zu finden.
Es lohnt sich dennoch, sich einzusetzen und Neues zu lernen. Hier wissen sie, WARUM sie es tun.

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